Zur Zeit einer Pandemie erscheinen Grenzen plötzlich erstrebenswert. Eine Seuche, das ist der alte Begriff für „Pandemie“, ist eine sich schnell verbreitende, ansteckende Krankheit, der Wunsch, so etwas „draußen zu halten“, verständlich. Das funktioniert aber nicht. Edgar Allan Poe hat das in „Die Maske des roten Todes“ eindrucksvoll porträtiert. Sein Prinz Prospero muss es, am Ende der Geschichte, schmerzhaft am eigenen Leib erfahren. Er stirbt.
Dann aber war es Prinz Prospero, der rasend vor Zorn und Scham über seine eigene, unbegreifliche Feigheit die sechs Zimmer durcheilte – er allein, denn von den andern vermochte vor tödlichem Schrecken kein einziger ihm zu folgen. Den Dolch in der erhobenen Hand, war er in wildem Ungestüm der weiterschreitenden Gestalt bis auf drei oder vier Schritte nahe gekommen, als sie, die jetzt das Ende des Samtgemaches erreicht hatte, sich plötzlich zurückwandte und dem Verfolger gegenüberstand. Man hörte einen durchdringenden Schrei, der Dolch fiel blitzend auf den schwarzen Teppich und im nächsten Augenblick sank auch Prinz Prospero im Todeskampf zu Boden.
Edgar Allan Poe
Die Maske des roten Todes
Prinz Prospero hatte, angesichts der Seuche des „roten Todes“, Grenzen hochgezogen, er hatte sich hinter hohen Mauern verbarrikadiert und dort, gemeinsam mit seinem Gefolge, weitergefeiert. Die Erzählung von Edgar Allen Poe ist eine Geschichte aus dem 19.Jahrhundert. Sie wurde 1842 im „Grahams Magazine“ abgedruckt. Die Symptome, die er in seiner Erzählung so eindrücklich schildert, sind jene der Pest. Das Bakterium Yersinia pestis, 1894 entdeckt, hatte die europäische Geschichte nachhaltig beeinflusst. Schätzungsweise 25 Millionen Menschen – und damit ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas – sollen der Pest zwischen 1347 und 1352 zum Opfer gefallen sein. Die letzte große Pestpandemie mit etwa zwölf Millionen Toten begann 1896.
Edgar Allen Poe greift das Bild der Pest unter dem Eindruck der großen Cholera Epidemie von Baltimore im Jahr 1831 auf. Er ist auch durch den Tod seiner Eltern geprägt, seine Mutter und seine Ziehmutter starben an Tuberkulose. Poe verwendet Boccaccios Decamerone als Vorbild, seinen Hauptdarsteller, Prinz Prospero, übernimmt er aus Shakespeares „der Sturm“.
Viren sind grenzenlos
So wie Prospero den roten Tod nicht aussperren konnte, so gelang es der chinesischen Regierung nicht, SARS-Cov-2 in Wuhan einzusperren. Der Versuch das Virus mittels Grenzen zu stoppen ist nicht zielführend. Viren brauchen einen Wirt, man kann es ihnen nur schwer machen von Wirt zu Wirt zu springen, generell einsperren oder aussperren kann man sie nicht, denn es ist nicht möglich jeden potentiellen Wirt zu kontrollieren.
Starre Handlungsmuster funktionieren nicht
Viren sind flexibel, sie können infizieren, sie können mutieren und sie sind bestrebt sich zu vermehren. Je näher sich Menschen kommen und umso länger diese Nähe anhält, desto wahrscheinlicher ist eine Übertragung. Die einzige Möglichkeit, einem Virus das Leben schwer zu machen, ist Distanz und Hygiene.
Die Distanz wiederum hängt bei Menschen von der Mentalität ab, während sich die einen dauernd in den Armen liegen, ist für die anderen ein Händedruck schon zu viel. Bei Hygiene ist es ähnlich, die eine Kultur kennt 1001 Regel und hält den Anspruch an Hygiene hoch, die andere kümmert das wenig. Die Faustregel ist, je heißer und feuchter das Klima ist, umso mehr Hygieneregeln und Distanz kennt die dort lebende Kultur. Im Zeitalter der Globalisierung mag das verwischen aber als Grundprinzip hat es Gültigkeit.
Jede Gesellschaft hat ihre Gewohnheit und wenn ein Virus das Problem ist, dann muss jede Gesellschaft ihren ganz persönlichen Weg finden. Eine globale Regel kann nicht funktionieren. Die Menschen müssen die Grundprinzipien der Bekämpfung von SARS-CoV-2 verstehen, nur dann können sie diese, den lokale Gegebenheiten entsprechend, flexibel anwenden.
Flexibilität hätte Prinz Prospero einiges erspart
Selbst die höchsten Mauern haben den roten Tod nicht abgehalten bei Prinz Prospero mitzufeiern. Im Gegenteil, er hatte sich so auf seine Mauern verlassen, dass sein ungebetener Gast als Überraschung des Abends auftrat. Ähnlich ist es bei der aktuellen Pandemie mit nationalen Strategien, sie funktionieren temporär aber sie haben das Potential für ein „Unhappy End“. Grenzen sind eine trügerische Sicherheit.
Will man dem Virus „Grenzen setzen“, dann geht das nur mit einer Veränderung des Lebensstils. SARS-CoV-2 ist eine Spaßbremse, Party und Virus verstehen sich zu gut, als dass man sie vereinen sollte. Für eine Zeit ist Distanz angesagt, Abstand halten, ab und zu Masken tragen, Hände waschen, das sind die Grenzen die funktionieren. Hätte Prinz Prospero das berücksichtigt, der ungebetene Gast wäre nicht gekommen und hätte allen die Laune verdorben.
Reisen in Zeiten einer Pandemie?
Warum nicht? – Es ist nicht die Reise, es ist auch nicht der andere Ort, es ist das, was man dort tut. Wer reist und dem Virus durch sein Verhalten den Spaß verdirbt, wird keinen ungebetenen Gast mitbringen. Josef Peterleithner sagt ganz richtig: „Reisen – auch ins Ausland – ist nicht nur ein Recht jedes Einzelnen, sondern auch ein Grundbedürfnis der ÖsterreicherInnen geworden. Auch in Zeiten der Corona Krise. Was sich aber geändert hat: Die Reisefreiheit ist anders, als wir sie kennen. Was aktuell gilt: So viel Freiheit wie möglich, so viel Sicherheit wie nötig.“ Der Präsident des Österreichischen Reiseverbandes plädiert für Reisen: „Bleibt um Himmels willen nicht zuhause. Genießt auch den Urlaub im Ausland. Schaltet einfach den Hausverstand ein.“
Da hat er recht, denn wer auch im Urlaub nicht darauf vergisst, dass wir aktuell in einer Zeit der Pandemie leben, der wird sich richtig verhalten. Wer seinem Hausverstand allerdings über Bord wirft und während einer Seuche „Party macht“, der wird das auch zu Hause tun. Länder mit vergleichbaren Zahlen können bereist werden und je mehr dieser Länder es gibt umso größer ist die Freiheit des Reisenden.
Andreas Ermacora, der Präsident des Österreichischen Alpenvereins, ist der „Prinz Prospero“ in dieser Metapher. Er plädiert für Urlaub in Österreich, für die geschlossene Party, hinter den Mauern: „Das Wandern in den Bergen ist heuer so beliebt wie nie zuvor. Abstandhalten ist im Freien selbstverständlich und leicht möglich. Die Maske wird nicht benötigt. Die Gastfreundschaft in unseren Betrieben ist einzigartig. Da kann das Ausland nicht mithalten. Wo sonst auf der Welt ist es möglich, all die Vorzüge, die unser Land bietet, miteinander zu verbinden? Vormittags auf den Berg, nachmittags am See und abends der Besuch einer Kulturveranstaltung oder ein Bummel in der Stadt.“ Spätestens seit St.Wolfgang und den „Staus“ auf den Wanderwegen wissen wir, dass es so nicht funktioniert.
Das Virus geht nicht weg, wenn wir „brav sind“ – oder „Blame Game“ macht keinen Sinn
Im Mittelalter flüchtete man sich in den Glauben, heute glaubt man wenn man sich konform verhält, dann bleibt man verschont. Ganz so einfach ist das mit dem kleinen Virus nicht, auch die „Braven“ können SARS-CoV-2 bekommen, niemand ist immun, selbst wenn Vorsicht das Handeln prägt, zu vielfältig sind die Möglichkeiten einer Infektion. Man bleibt auch nicht gesünder, nur weil jemand anderer „schlimm“ ist.
Pandemien sind ein Ding das Kooperation erfordert, nur gemeinsam kann man dem Virus das Leben schwer machen. Verzettelt man sich im sogenannten „Blame Game“, dann wird die Welt nicht sicherer. Im Mittelalter hat man gedacht „die Juden hätten die Brunnen vergiftet“, die Pest verursachte damals auch Pogrome. Heute denkt man das nicht mehr aber die Sehnsucht nach Jemand der „schuld“ ist, die ist geblieben. Reisende bekommen zu hören, dass alles besser wäre, wenn sie zu Hause bleiben würden. In einer Pandemie hat man nicht zu reisen.
Reisen an sich sind nicht gefährlich
Wer reist ist nicht automatisch eine Gefahr für seine Mitmenschen. Flieger gelten als ziemlich sicher und Reisebusse sind meist weniger „befüllt“ als öffentliche Verkehrsmittel. Wer sich vor Ort vernünftig verhält und mit Abstand seinen Urlaub verbringt, ist kein „guter Wirt“ für SARS-CoV-2. Es kommt auf das Verhalten an, nicht auf den Ort, an dem man sich befindet. Infektionen passieren dort, wo sich Menschen zu nahe kommen, wo zu wenig Hygiene vorhanden ist. An Urlaubsorten treffen sich zwar ganz unterschiedliche Menschen aus ganz verschiedenen Ländern und man könnte sagen, das wäre doch toll für das Virus aber ohne ausreichende Nähe kann es nicht „springen“. Wenn sich die Reisenden vernünftig verhalten, dann gehen sie keine Gefahr ein und werden auch nicht zur Gefahr für andere. Wenn sie aber auf die Vorsicht vergessen und sich zu nahe kommen, dann natürlich, dann freut sich das Virus, dessen einziges Ziel Reproduktion ist. SARS-CoV-2 ist recht „einfach gewickelt“, Nationalität, Alter, Herkunft, das ist ihm egal, wenn die Nähe stimmt, springt es.
Nicht jeder Mensch und auch nicht jeder Reisende ist vernünftig
Menschen sind „vernunftbegabt“, das bedeutet aber nicht, dass jeder diese Gabe immer nützt. Auch die Unvernunft ist Teil des Menschseins. Viren hätten es sehr schwer, ohne die Unvernunft, Wer seinen Urlaub bei seriösen Reiseveranstaltern bucht, geht auch in der Corona-Krise auf Nummer sicher: Professionelle Urlaubsanbieter verkaufen ausschließlich Reisen in Zielgebiete ohne Reisewarnungen und sie achten auf die Vernunft. Im Zweifelsfall bringen sie ihre Gäste auch wieder nach Hause. Wer individuell reist, muss sich selbst, auch um die Vernunft, kümmern.
Der Sommer hat gezeigt, dass die Unvernunft fröhlich Party gemacht hat, die Folge waren Heimkehrer mit Virus im Gepäck. Der Anstieg war erwartbar, vermutlich wäre er auch bei geschlossenen Grenzen passiert, denn Unvernunft kann auch feiern ohne zu reisen.
Mit Tests erwischt man auch ein Virus
Statt Grenzen zu schließen, ist es wichtig an den Abstand zu erinnern. Die Reisenden kann, vielleicht muss man, testen. Damit sondert man die Infizierten aus, Damit lernt man das Virus besser kennen. Damit weiß man, wo eine regionale Schließung Sinn macht. Denn zum Feiern gehören immer Zwei – der Gast und der Gastgeber. An manchen Orten nehmen es beide zu locker, dann freut sich das Virus.
Tests wird es viele geben müssen, diesen Herbst. Die billigen Spucktests für Kindergarten und Schule und eigentlich überall, wo viele Menschen zusammen kommen. Die teureren Test für die Reisenden und für jene wo ein Verdacht besteht. Das bedeutet nicht, dass Reisende unter Generalverdacht stehen, es kommt auf das WIE des Reisens an. Die Vernünftigen werden kein Virus-Übergepäck haben aber wie soll man sie bei der Einreise erkennen? Tests für alle, für die Vernünftigen und für die Unvernünftigen, ist vermutlich der praktikable Weg.
Eine Corona-Ampel für Europa
Die Pandemie wird so schnell nicht verschwinden, die Welt sollte lernen mit Corona zu leben. Europa muss sich auf Europa besinnen, regionale Sperren, statt nationale Grenzen sind der vernünftigste Weg. Da die Unvernunft Teil des Menschen ist, wird es ab und an „rote Regionen“ geben. Dort muss man streng sein und da fährt man nicht hin. Der eine wird vom anderen lernen, denn Corona ist ein Lernprozess. Das Virus wird für einige Zeit Teil des Alltags sein. Für diese Zeit ist eine „Ampel“ praktisch, eine europäische ist besonders praktisch, denn dann braucht man keine Grenzen, es gibt nur bunte Regionen, in die roten, da fährt man nicht hin.