Bis 2030 soll ganz Barcelona eine „Supermanzana“ werden – aber was ist das eigentlich? Gleich vorweg, es handelt sich nicht um einen genveränderten Apfel, denn der Begriff „Manzana“ bezeichnet auch eine Wohnanlage oder einen Häuserblock. Es geht ergo um Stadtplanung und die „Smart City„. Vielleicht sollte man mit dem Mann beginnen, der dieses ehrgeizige Vorhaben initiiert hat: Salvador Rueda. Er gilt als der „Vater der Supermanzanas“ Kataloniens, der Stadtplaner hat eigentlich Biologie und Psychologie studiert sowie Umwelttechnik und Energiemanagement, aber da es bei Stadtplanung um Menschen geht, ist das vermutlich durchaus praxisnah. Sein Pilotprojekt war die Supermanzana Poblenou, die im September 2016 Im Bereich der Straßen Badajoz, Pallars, Llacuna und Tànger etabliert wurde, die zwischen den Vierteln Poblenou und Parc i la Llacuna del Poblenou liegen. Seit das Projekt umgesetzt wurde gab es viele Diskussionen, denn die einen lieben es, die anderen hassen es. Wer in Wien lebt, sollte dieses neue „urban design“ kennen, denn die österreichische Hauptstadt orientiert sich an Barcelona. In Wien nennt man das Konzept „Superblock“ oder „Supergrätzl„.
Grundsätzlich geht es darum mehr Grün in die Stadt zu bringen
Die Grundidee hinter der Supermanzana ist: Mehr Fläche für die Menschen, weniger Platz für Autos und viel Grün um die Stadt zu kühlen. Denn Barcelona hat im Sommer durchaus das Problem, dass es heiß wird in der Stadt und das ist nicht „sexy“, wie das Lied von Billy Idol es suggeriert. Was dem Wiener die Donauinsel ist, das sind für die Menschen Barcelonas die Hausstrände in Barceloneta, allerdings das hilft auch nur bedingt gegen die Hitze im Sommer. Etwas hilfreicher sind da die Ramblas mit ihren Bäumen und die Parks, denn die gibt es in der ganzen Stadt verteilt. Mit den Supermanzanas soll es in Zukunft noch viel besser werden, für alle oder fast alle, denn die Autofahrer in Barcelona sind zwar Kummer gewohnt aber die neuen Beschränkungen machen sie nur mittelglücklich.
Das Konzept von Salvador Rueda
Rueda präsentiert ein neues Modell, das eine Reformation der urbanen Mobilität und die Neuorganisation des öffentlichen Raumes in sogenannte „Superinseln“ vorschlägt. In diesem Modell werden nur noch 15% der Fläche für den Fließverkehr vorgesehen. 70% der Stadtfläche sollen den Menschen vorbehalten sein und vorzugsweise vom öffentlichen Verkehr bedient werden. In seiner Welt sind Metro, Stadtbusse und Fahrräder so verknüpft, dass das Auto zur Nebensache wird. Die Vorteile: keine Verkehrsstaus mehr, weniger Schäden am Bodenbelag, Verringerung der CO2-Emissionen, keine Lärmbelästigung, weniger Luftverschmutzung (Stichwort Feinstaub) sowie weniger Unfälle durch den Straßenverkehr. In Ruedas Superinseln können Autos zwar zufahren aber sie dürfen sich dort nur mit 10 Stundenkilometer fortbewegen, freie Fahrt für Autos gibt es, wenn es nach Rueda geht, dann auf 70% des urbanen Raumes nicht mehr. Seine Vision ist, dass der öffentliche Raum zu einer Art grünen Wohnzimmer wird.
Barcelona und seine Lage
Die Stadt hat zwei Begrenzungen, das Meer im Osten und die Hügelkette des Hinterlandes im Westen. Darauf musste und muss Barcelona bei der Stadtplanung achten. Die Römer errichteten eine erste Stadt, Karl der Große baute sie zu seinem Vorposten aus. Die Grafen von Barcelona forcierten den Handel und vergrößerten den Hafen. Von seiner Anlage her war Barcelona damals eine mittelalterliche Stadt, denn der römische Grundriss war längst überbaut. Davon waren nur die Mauern und einige Achsen als Beschränkung geblieben. Der Hafen dagegen wuchs kontinuierlich – zwischen 1000 und 1300 konkurrierte Barcelona mit Venedig und Genua um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum als eine der wichtigsten Handelsstädte der Welt. Dadurch kamen immer mehr Menschen in die Stadt, daher entschloss man sich die römischen Mauern zu schleifen und die Stadt nach Westen zu erweitern. Das alte Flussbett entlang der römischen Mauer wurde zur Prachtstraße – heute heißt sie Rambla.
Zur Zeit der Kolonialisierung wurde über den Hafen Baumwolle nach Barcelona geliefert und damit entstand die Textilindustrie. Sie war die Initialzündung der Industrialisierung Kataloniens. Durch die hervorragende Anbindung der Stadt ans Meer setzte die Industrialisierung dort um das Jahr 1800 ein, fast einhundert Jahre früher als im Kernland Spaniens. Die Industrie wurde naturgemäß rund um den Hafen angesiedelt und aufgrund der Industrie kamen wieder viele Menschen in die Stadt. Daher musste man erneut über eine Stadterweiterung nachdenken. Ergo wurde 1859 der Plan der Stadterweiterung „Eixample“ beschlossen, entworfen von Ildefonso Cerdà. Dieser Rahmenplan vergrößerte Barcelona auf das zehnfache und der schachbrettartige Grundriss prägt bis heute das Bild des modernen Barcelona.
Aktuell ist der Verkehr in Barcelona eine Katastrophe
Wer Barcelona kennt, der weiß, dass der Autoverkehr ein Problem ist. Barcelona ist die zweitgrößte Stadt in Spanien und im Stadtgebiet selbst leben ca. 1,6 Millionen Einwohner, im Großraum über 3 Millionen Menschen. Die Stadt besitzt durchaus ein dichtes und gut ausgebautes Nahverkehrssystem. Das ist auch gut so, denn Parkplätze in der Innenstadt sind teuer und Staus an der Tagesordnung. Daher gibt es auch in Barcelona den Trend weg vom PKW und hin zu einem besseren öffentlichen Personennahverkehr. Das ist mittlerweile ein zentrales Motiv moderner Stadtplanung. Denn guter Städtebau im 21.Jahrhundert muss versuchen, die auf der ganzen Welt wachsenden Metropolen bewohnbarer zu machen. Und um dieses Ziel zu erreichen, müssen Privat PKWs reduziert und die Städte „grüner“ werden sowie die Bereiche Leben und Arbeiten zusammenwachsen. Daher ist menschliche Stadtplanung gefragt – das betrifft das Zusammenspiel von öffentlichen Raum und privat genutzten Wohnraum. Da setzen die Supermanzanas an.
Die Grundidee zur Supermanzana stammt eigentlich aus dem Modernismo
Der Begriff „Mansana“ in seiner städteplanerischen Funktion stammt ursprünglich von keinem Geringeren als Ildefonso Cerdà, dem Mann der die Eixample quasi „erfunden“ hat. Cerdà war damals von der sogenannten „Masia“, das ist ein Landgut, beziehungsweise ein Herrenhaus, inspiriert. Solche Häuser waren von kleineren Bauernhäusern umgeben, in denen die Landarbeiter lebten, die sich um die Landwirtschaft kümmerten. Cerdà übertrug das auf die Stadtplanung Barcelonas und baute oktogonale Wohnblocks mit Innengärten. Jeder Block war damit ein „Selbstversorger“ Wohnhaus. Die „Supermanzana“ ist also das Upgrade des 21.Jahrhunderts der Idee Cerdàs. Sie ist eine 400×400 Meter große urbane Zelle die den öffentlichen Raum an die Menschen zurückgibt, indem sie den Autoverkehr draußen lässt und dadurch zu einem grünen Wohnzimmer wird.
Ildefonso Cerdà – Barcelona hatte schon einmal den Mut moderne Stadtplanung umzusetzen
Ildefonso Cerdà ist nicht sehr bekannt aber er hat Barcelona architektonisch stark geprägt, stärker als sein Kollege Antonio Gaudi vermutlich. Cerdà war seiner Zeit voraus, denn er dachte im 19.Jahrhundert bereits über Mobilität und Kommunikation in der Stadtplanung nach. Sein Vernetzungskonzept war „modern“, denn es war 1859 bereits optimiert für Straßenbahnen, also den öffentlichen Verkehr. Das Viertel Eixample hat er als orthogonales (rechtwinkeliges) System von oktogonalen Wohnblöcken geplant. Das war damals revolutionär. 1992, anlässlich der Olympischen Spiele, holte man unter Joan Busquets die Pläne Cerdàs wieder aus der Schublade. Die von Cerdà gebaute Via Diagonal wurde zum Meer verlängert, der Port Vell und Barceloneta wurden revitalisiert und Poblenou restrukturiert. Die alten Industrieanlagen riss man ab und neue Apartmenthäuser entstanden an den künstlich aufgeschütteten Stränden. Abgesehen von der dadurch entstanden Gentrifizierung eine positive dynamische Stadtentwicklung.
Die Supermanzanas könnten ein Vorbild für die „Neue Welt“ werden
Die Poublenou Supermanzana war durchaus erfolgreich. Nach anfänglichen Konflikten hat man dort die Grünfläche verdoppelt und die Autos um mehr als die Hälfte reduziert. Der öffentliche Raum wurde den Bewohnern zurückgegeben und mittlerweile genießen sie ihn. Er ist zu einem „Guten Grätzel“ geworden wo Nachbarschaft groß geschrieben wird und gemeinsame Kunst-und Freizeitprojekte umgesetzt werden. Mittel-und Südamerika steht vor ähnlichen Problemen wie Barcelona: Staus rund um die Uhr, die Städte versinken im Verkehr, die Luftverschmutzung ist hoch und es ist heiß zwischen den Mauern der Städte. Der fehlende öffentliche Raum führt zu einer Isolation, die sich aufs Gemüt schlägt. Daher beobachtet man in den Lateinamerikanischen Ländern das Projekt von Salvador Rueda genau und überlegt es auch lokal umzusetzen.
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